Politische Bildung
Politische Bildung an den Schulen als zentraler Faktor für ein stabiles politisches System in der Schweiz
Welche Faktoren sind für ein stabiles politisches System in der Schweiz wichtig? Dieser Frage ist 2014 das Forschungsinstitut gfs.bern in einer Studie im Auftrag der Bank Julius Bär nachgegangen. Zwölf Reformideen, „Bausteine zur Stärkung des Schweizer Politsystems“, standen zur Debatte. Einerseits befragte das Forschungsinstitut gezielt Expertinnen und Experten, andererseits führte man eine repräsentative Befragung mit Stimmberechtigten aus der ganzen Schweiz durch.
Sowohl die Experten als auch die Stimmberechtigten nannten mit Abstand am häufigsten die politische Bildung an den Schulen als wichtigsten Baustein.
80 Prozent der 1011 Befragten sehen mehr Schweizer Politik im Unterricht als zentralen Faktor für eine stabile Demokratie: „Ein hoher Stellenwert der politischen Bildung ist offenbar breit gewünscht und für eine Mehrheit soll dieser gar gleich hoch wie die Mathematik sein.“ (Studie gfs, 2014, S. 5) Die Studie schlägt aufgrund der Umfragen einen Reformimpuls hinsichtlich der „Poltischen Bildung“ vor:
„Zur Stärkung der politischen Kultur und zur Fähigkeit der Mitsprache der Stimmberechtigten ist auf allen politischen Ebenen – und in politisch neutraler Form – in allen Ausbildungsphasen ab der 7. Klasse eine Offensive in der politischen Bildung angezeigt. Inhaltlich können die Abstimmungen im Zentrum stehen, während in der Form über Debatten die Lust an der Politik gefördert werden kann. Um das politische Interesse bei Jungen zu stärken, müssen allerdings elektronische und soziale Medien verstärkt berücksichtigt werden.“ (Studie gfs, 2014, S. 6)
Die Resultate der Studie sind sehr ermutigend, zumal in den letzten 25 Jahren in den meisten Kantonen ausgerechnet das Fach Staatskunde, resp. politische Bildung sukzessive abgebaut und das Opfer von Sparrunden wurde. Die vorgeschlagene Bildungsoffensive nahm in der Folge der Bundesrat auf und unterstützt seither die äusserst vielfältigen Bildungsvorstösse der Kantone. Flankierend dazu ist es aber sicher nötig, dass Initiativkomitees in den Kantonen, die in der föderalistischen Schweiz die Bildungshoheit besitzen, dafür sorgen, dass das Fach „Politik“ konkret im Bildungsparagraphen der Verfassung, auf gesetzlicher Ebene sowie in den Lehrplänen verankert wird. Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass nun in mehreren Kantonen gerade Jungparteien von links bis rechts sich des Themas angenommen haben (siehe Artikel von David Pavlu).
Am Gymnasium am Münsterplatz sorgte die Schulleitung für die konkrete Umsetzung dieser Bildungsoffensive. Im Schullehrplan für das Fach Geschichte heisst es dazu in einem Abschnitt, der die allgemeinen Bildungsziele thematisiert:
„Die politische Bildung wird in einem eigens dafür geschaffenen Zeitgefäss im zweiten Gymnasialjahr unterrichtet. Die Beschäftigung mit Politik zeigt den Jugendlichen auf, welche Möglichkeiten bestehen, Verantwortung zu übernehmen und Gesellschaft und Staat mitzugestalten.“
Um diese Aussage mit Inhalt zu füllen, unterstützte die Schulleitung die Idee, das Fach „Politische Bildung“ zukünftig im zweiten Gymnasialjahr im Rahmen einer Projektwoche zu behandeln. Die Politische Bildung beschränkt sich jedoch nicht nur auf diese Woche. Zentral ist, die Integration des Fachs in die Fächer „Geschichte“ sowie „Wirtschaft und Recht“ während des vierjährigen Gymnasiums im Rahmen des Möglichen weiterzuführen und immer wieder zu vertiefen. Dies soll mit dem Aufgreifen aktueller Themen geschehen, wie kantonale und eidgenössische Wahlen, Abstimmungen (in der Regel vier Abstimmungstermine im Jahr) sowie weiteren aktuellen Themen wie „Schweiz und EU“, „Asylpolitik und Migration“ etc. Die politische Meinungsbildung und Debatte ist auch mit Veranstaltungen (z.B. Wahlpodien) zu fördern.
Mit der Projektwoche „Politische Bildung“ haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass die Schülerinnen und Schüler zuerst die Bundesverfassung als Grundlage unseres Staates kennen lernen. Darauf aufbauend werden dann die Gewaltenteilung, der Föderalismus und immerwährende, bewaffnete Neutralität thematisiert und kritisch durchleuchtet. Schliesslich wird die Politische Kultur in der Schweiz mit den Wahlen und Abstimmungen genauer untersucht. Stets ist es dabei wichtig, konkrete Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit oder aus der Gegenwart aufzugreifen.
Der Film „Mais im Bundeshuus“, der kapitelweise in die Projektwoche eingebaut wird, zeigt anhand des Themas „Gentechnologie“ und der entsprechenden Einführung eines neuen Gesetzes, eindrücklich die politischen Mechanismen auf, die in Bundesbern ablaufen. Mit dem Film kann unter anderem veranschaulicht werden, wieso es immer wieder wichtig ist, dass die Bevölkerung mit der direkten Demokratie die Möglichkeit hat, konkret in den politischen Prozess einzugreifen.
Der Bereich „Wirtschaft und Recht“ beleuchtet im zweiten Teil der Projektwoche die Themen Sozialversicherungen sowie Steuern / Staatsfinanzen und greift ein aktuelles wirtschaftspolitisches Thema auf.
In der Mitte der Projektwoche ist ein Besuch des Grossen Rates in Basel vorgesehen. Nach einer Eröffnungslektion im Ratssaal und einer Führung im Rathaus treffen die Schulklassen mit Politikern des Grossen Rates zusammen und diskutieren aktuelle Themen des Politikbetriebs.
Der Abschlussnachmittag soll der Aussenpolitik der Schweiz gewidmet sein. Mit dem Thema „Schweiz global. Die Schweiz und die OSZE“ wird das Engagement der Schweiz in internationalen Organisation betrachtet. Im Rahmen der ersten Durchführung der Projektwoche brachte uns die damalige Präsident der Schweizerischen Helsinki-Vereinigung (SHV), Marianne von Grünigen, die Geschichte der KSZE und OSZE in einem spannenden Überblick näher. Anschliessend sprach Berry Kralj über seine praktische Tätigkeit bei der OSZE. Er war unter anderem im Rahmen von „Feldmissionen“ in Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo und in Mazedonien als Wahlbeobachter sowie juristischer und politischer Berater unterwegs.
Die Schülerinnen und Schüler müssen während der Projektwoche in bestimmten Zeitgefässen selbständig an einem Projektthema aus dem Politikbereich arbeiten. Ziel ist, einige Zeit nach der Projektwoche eine schriftliche Arbeit abzugeben, die benotet wird und als Vorbereitung zur später zu erstellenden Maturarbeit dient.
Die ersten Erfahrungen mit der Projektwoche „Politische Bildung“ waren sehr gut und ermutigend. Wir werden nun im neuen vierjährigen Gymnasium diese Woche im Lehrplan institutionalisieren, damit alle Schülerinnen und Schüler in den Genuss von mehr politischer Bildung kommen und befähigt werden, im politischen Bereich sich eine eigene, kritische Meinung zu bilden und Prozesse mitzugestalten.
Dr. phil. René Roca, Geschichtslehrer am Gymnasium am Münsterplatz und Leiter des Forschungsinstituts direkte Demokratie (www.fidd.ch)
Quelle: Rundbrief November 2016 der Schweizerischen Helsinki Vereinigung (SHV),
Website: www.shv-ch.org